Traditionelles Taiwan

Eine Insel im Bann des Lichts

Die Symbolkraft des Lichts verbindet Völker, Kulturen und Religionen. Licht steht für Frieden und Zuversicht, einen leuchtend-hellen Glauben, für die Hoffnung auf eine strahlende Zukunft. Licht gibt Wärme, spendet Trost und verheißt Glück. Unter diesen Vorzeichen stehen auch die traditionellen Laternenfestivals in Asien, darunter jene auf Taiwan. An diesem Samstag startet das große „Taiwan Lantern Festival“ in der ältesten Stadt der Insel: in Tainan.

Die Mehrheit der 23 Millionen Einwohner von Taiwan bekennt sich zu Buddhismus und Taoismus – wobei die Grenzen oft fließend verlaufen. Die Taiwaner verehren viele Gottheiten. Rein buddhistische oder taoistische Tempel gibt es nur wenige. Der Anteil der Christen auf der Insel liegt bei vier Prozent. Ihr Ursprung wurzelt in der Missions­tätigkeit von Niederländern und Spaniern im 17. Jahrhundert. 

Die verschiedenen Religionsgemeinschaften existieren friedlich nebeneinander. Sogar innerhalb einer Familie kann es Anhänger verschiedener Glaubensrichtungen geben. Stehen auf der dicht besiedelten Insel, deren Größe in etwa der von Baden-Württemberg entspricht, die Laternenfestivals an, folgt jeder auf seine Art der Anziehung und Faszination der Lichter. Da erwachen Träume und Sehnsüchte. Da spürt man Ruhe und Kraft zugleich.

Gänsehaut bei Dunkelheit

Die Termine der Laternenfeste hängen vom Beginn des chinesischen Mondneujahrsfests ab: Sie sind letztlich Neujahrsfeiern und markieren den letzten Tag des chinesischen Neujahrs. Das bedeutet, dass sie Anfang des Jahres steigen, meist im Februar oder Anfang März. Ihr Ablauf ist ganz unterschiedlich. Das verbindende Element stellt die besondere Stimmung bei Dunkelheit dar. Inmitten der Lichterfluten kommen Gänsehautgefühle auf. 

Beim „Tainan Puji-Tempel-Laternenfest“ in der südlichen Stadt Tainan schmückt man den über 300 Jahre alten Puji-Tempel mit vielen Laternen. Die Straßen rundherum gleichen einem Lichtermeer. Viele Gläubige beschriften simple Laternen mit den Namen der Götter, bei denen sie um Schutz und Segen beten. Dabei lässt man dem Einfallsreichtum freien Lauf. So erzählt jede Laterne eine andere Geschichte. 

Bei taoistischen Darstellungen ist Matsu oft vertreten, die „Kaiserin des Himmels“, die Göttin des Meeres und der Gnade. Etwa 400 Tempel sind ihr auf Taiwan gewidmet. Steht ihr großer Ehrentag im April oder Mai an, abhängig vom Kalenderjahr, setzen sich lange vorher Abordnungen aus Tempelgemeinschaften in Gang, um andere Anlagen im Prozessionsmarsch zu besuchen und es richtig krachen zu lassen: mit Knallkörpern, Feuerwerk, Tanz­ritualen, Trommelwirbeln.

Matsu – so heißt auch eine Inselgruppe, die nordwestlich von Taiwan vor dem chinesischen Festland liegt. Während des Laternenfests bringen die Inselbewohner den Gottheiten Opfergaben dar. Dann schmücken sie ihre Häuser mit kunstvollen Laternenarrangements und tragen Götterstatuen in Sänften durch die Dörfer.

Heilige Schildkröte

Auch der traditionell vom Fischfang geprägte Archipel Penghu im Westen Taiwans begeht ein Laternenfest. Im Winter, wenn der Wind oft zu stark ist und die Fischer nicht aufs Meer hinausfahren können, bleibt Zeit, das Fest vorzubereiten. Ein besonderer Brauch besteht in der „Ciguei-Zeremonie“, bei der sich der Wunsch nach Frieden und Wohlstand in der Verehrung von Bildnissen einer heiligen Schildkröte manifestiert. Dies kann eine Schildkröte aus Gold sein oder – wie im Fall des Dorfs Wukan – eine Schildkrötenform aus Weißkohl, der aus lokalem Anbau stammt.

Im Norden Taiwans ist das „Pingxi Sky Lantern Festival“ schon von internationalen Medien herausgestellt worden. Schauplätze dieses Himmelslaternenfestivals sind drei Orte: Pingxi, Jintong und vor allem Shifen. Dort lässt man Reispapierlaternen himmelwärts steigen, was mittlerweile nicht frei von Diskussionen um Umweltverschmutzung ist. 

Dagegen bleibt beim „Taiwan Lantern Festival“ alles bodenverhaftet. Das Großereignis von nationaler Bedeutung wird jedes Jahr woanders veranstaltet. Im vergangenen Jahr war Taiwans Millionenmetropole Taipeh im Norden der Insel an der Reihe. Die aktuelle Auflage steigt ab diesem Samstag in Tainan im Südwesten und erstreckt sich über zwei Wochen. 

Fantasiereiche Skulpturen

Der Begriff Laterne ist beim „Taiwan Lantern Festival“ allerdings irreführend. Klassische Lampions sind kaum vertreten – dafür umso zahlreicher Lichtskulpturen und Illuminationen jedweder Art, für die sich viele Künstler fantasiereich ins Zeug legen. Besucher flanieren unter Lichtergirlanden hindurch, sehen kunterbunte Lichterblumen in Parks und schwimmende Installa­tionen auf Teichen. 

Bei den Motiven taucht immer wieder der Drache auf, der im chinesischen Kulturkreis als Sinnbild für Kraft, Kreativität, Glück, Weisheit und Erleuchtung steht. Chinesische Drachen können, genau wie in Tempeln, auch im Festivalbereich als Türwächter dienen. Ihre Blicke sind oft stechend, Katzenaugen gleich, und die Klauen wie jene von Adlern gestaltet. 

Das „Taiwan Lantern Festival“ dient gleichzeitig als Schaubühne, um die neueste Spitzentechnologie zu präsentieren, ob mit virtuellen Effekten oder dem Einsatz von Drohnen. Darin sieht Chang Shi-chung, der Generaldirektor des Tourismusbüros von Taiwan, auf Anfrage unserer Zeitung den Unterschied zu anderen Laternenfestivals im asiatischen Raum. Diese finden beispielsweise in Thailand („Chiang Mai“), Vietnam („Hoi An“), Indonesien, Sri Lanka und Myanmar statt.

Buddhistische Mönche gaben den Anstoß

Der Ursprung der Laternenfeste in Asien reicht mutmaßlich zwei Jahrtausende zurück und kam während der Han-Dynastie auf, die seinerzeit das Kaiserreich China regierte. Den Anstoß sollen buddhistische Mönche gegeben haben, die am 15. Tag des ersten Mondmonats ihre Tempel feierlich erleuchteten. Die Kaiser ordneten an, dies auf Privathäuser und andere Tempel­anlagen auszudehnen. 

So entstand ein Volksbrauch, der sich in verschiedensten Facetten weit verbreitete. Nimmt man das „Taiwan Lantern Festival“ als Beispiel, schwingt eine Rückbesinnung auf Rituale mit, aber ebenso die touristische Vermarktung. Das meint Tourismusdirektor Chang Shi-chung damit, wenn er davon spricht, „die lokale Kultur interna­tional zugänglich zu machen“.

Die Laternenfeste auf Taiwan fördern auch Traditionen zu Tage, die im Alltag kaum noch eine Rolle spielen. Oft werden sie dann avantgardistisch neu interpretiert. Dazu zählen Darstellungen der Ureinwohner der Insel. Deren Nachfahren fristen seit der Einwanderung der Nationalchinesen, die nach dem verlorenen Bürgerkrieg vor dem Kommunismus auf die Insel flohen, nur noch ein Schattendasein. Zwei Prozent der Gesamtbevölkerung machen die 16 offiziell anerkannten indigenen Volksgruppen aus.

Alte Kunstrichtung

Ebenso sorgen die Laternenfeste das ganze Jahr über für den Fortbestand einer alten Kunstrichtung: des Laternenbaus. In seinem Atelier in der Stadt Lukang bemalt Meister Wu jedes Stück per Hand. Die Basis ist stets ein Gerüst aus biegbaren Bambusstäben. Auftraggeber sind Gastronomen, Privatleute, Tempel. Laternenmacher Huang Wen-chian aus der Stadt Kaohsiung findet dagegen in der Gestaltung meterhoher Lichtskulpturen, die er auf Festivals präsentiert, seine Erfüllung. 

Stolz machen ihn seine Werke mit Spezialeffekten: mit mechanisch beweglichen Elementen. Da öffnet etwa eine Blume ihren Blütenkelch und ein Pfau sein Federkleid. Früher war Wen-chian Kunstlehrer. Dann nahm er mit seinen Kindern an einem Laternenwettbewerb teil, der ein neues Feuer in ihm entfachte. Seitdem steht er im Bann des Lichts.

Andreas Drouve